Havelabfluss

Einmal mehr
lasse ich den Sommer
in die Havel fließen
bevor die Hitze meine Brust
ganz durchdrungen hat.

Niemand steigt zweimal
in denselben Fluss,
doch ich kenne hier
jeden Wellenbruch,
sehe das Moos
an immer
den gleichen Stellen
bluten.

Und dieser eine Fleck dort
bleibt kalt.
Ausgeblichen von der Sonne
wird sein Salz grau,
die Kristalle
liegen faulig auf der Zunge,
schmerzen im Rachen.

Nach sechstausend Schritten
ist meine Lunge eingelegt
in Schweiß,
Taubheit sitzt dort
wo Wärme fehlt.

© Ricarda Righetti

Schlachttag

Blutig sind diese Tage
in sommerlicher Hitze
sammeln sich Tausendaugen,
um die zerstochenen Innereien
zu betrachten
muss geschlachtet werden,
was schmerzhaft wuchert
schmeckt metallig-süß
auf rauer Zunge
tanzen Gefühlsworte
hier im Vers, dort in Prosa
erzählt das dramatische Gedicht
von hoffnungsvollen Geistern
in fünf Akten
legen alle ein Stück Muskel
auf den Tisch
stürzt sich der Aasfresser
in hungrige Kämpfe
bin ich längst verwickelt,
während mein Herz sich neu möbeliert.

© Ricarda Righetti

Herzjucken

Mein Herz ist voller Mückenstiche.
Der ganze Muskel piekt und juckt
und pocht so heiß
unter weiß verbrannter Sonnenhaut.

Gerne würde ich
an deinem Herz kratzen,
auf seinen Klappen
Mückenleichen zählen,
so lange
behutsame Sternenstaubworte
in seine Kammern legen,
bis sie aus dir und mir
synchron heraus brüllen,

Doch
meine Finger bleiben daheim.
Alles Blut unter den Nägeln
ist mein eigenes.
In mir nuschelt es,
während das Insektenschmatzen
in der Nachtluft verklingt.

© Ricarda Righetti

An Tagen wie diesen

Wenn die Tiefsee in mir
besonders dunkel ist,
klingt dein Gesang so schön
und ich möchte nichts
als darin schaukeln.

Mir einen Kokon spinnen
aus deinen Tentakeln,
diesen fluoreszierenden Heilsversprechern,
die allen Schmerz
fortstechen.

Irgendwo neben dir,
ich sehe es verschwommen,
trägt ein schwarzäugiges Tiefseealien
die Hoffnung
behutsam in acht Armen.

Eine letzte,
flimmernde Umklammerung
auf beiden Seiten
bevor der Nachttrunk wirkt.

Und so, in deinem Kusse
schlaf ich.

© Ricarda Righetti

Sonnenbrand

Schlagwörter

Habe heute Sonne geschluckt, bin fast erstickt daran.
Beide Hände
haben sie in meinen Rachen gestopft,
dabei den Mund fest verschlossen,
um alles festzuhalten:
Die Wärme, das Leuchten, Hauptsache ein bisschen Lebendigkeit.
Doch nichts rutscht leicht,
wenn Hals und Magen ins Korsett geschnürt sind.
Organische Säure zersetzt das meiste geräuschlos.
Die schwach blubbernden Reste habe ich ausgekotzt
und mir daran die Finger verbrannt.
Kurz ist der Schmerz, ewig währt die Taubheit.

© Ricarda Righetti

Imbolcchaos

Zerrupfte Flügel gefunden,
unterm neuen Mond
an die Leine gebunden,
auf ein Wunder gehofft
und dabei vielleicht geträumt.

Das runde Licht verwackelt im Flusswasser
treiben die Federn vorbei
an der untergehenden Sonne
verbrenne ich mir kurz
meine verschmierten Finger
bluten schon längst
als der Stachel hineinstößt
weint keiner von uns
irgendwelche Tränen
fallen laut schreiend
in all die schwarzen Löcher
taucht das Tiefseealien
seine schmatzenden Arme
winken den Totenschädeltierchen
dort oben am Meeresgrund
solange traurig hinterher
bis sie müde die Augen öffnen.

Kurz geblinzelt,
über die Hoffnung gewundert,
an der Leine schiefe Töne gezupft,
vorsichtig den Mond umarmt
und dabei vielleicht gedacht:
Lieber die Flügel ziehen lassen.

© Ricarda Righetti

Stundenreise

Blickt man zu lange hin
nimmt der Pollock feste Formen an,
verwandelt die chaotische Gestalt
in ein einäugiges Stahlgesicht,
das brüllend zum Höllenhund zerfließt,
acht Chitinbeine ausfährt
und rasselnd den schwarzen Stachel wetzt.

Ygramul, die Viele
heißt seine Schwester
hinter den Grenzen Phantasiens
wissen nur wenige:
Ihr Gift erfüllt Reisewünsche
innerhalb einer Stunde
enden sie tödlich.

Wüsste ich, wo ich hinwollte,
ich würde mich stechen lassen.
Sechzig Minuten Lebendigkeit,
mit dem Skorpion in der Armbeuge
und dem Tod an der Hand.

© Ricarda Righetti

Dämonenjagd

Es roch nach Zimt
als die Dämmerung mich meinen Dämonen
zum Fraß vorwarf
hielt ich das Rudel kaum noch
zusammen
stoben Krähen und Seelenpartikel
in ihre knarzenden Arme
möchte ich mich schon so lange
fallen lassen
darf ich den Pollock auch heute nicht
auf die Jagd schicken
nur Märchen verkleidete Jungfrauen
damit sie ihr Glück finden
reichen Blut oder Ohnmacht
wirklich nicht aus
um gehört zu werden
muss ich erst den Regenbogen zerbrechen
und seinen Schrei zu meinem machen.

© Ricarda Righetti

Wachskerze

Auf die Schienen tropft Wachs
durch verkrampfte Finger
läuft es zähflüssig
im Takt des Zugwindes
liegt ein Versprechen
nach finaler Stille
sehnen sich sämtliche Synapsen
bis sie die Hitze spüren
ist der Docht kurzgebrannt
explodieren Eingeweide
zu rotem Regenmatsch
passen schwarze Gummistiefel
mit Dornenfütterung
schiebt sich mein Herzraum
schattenleuchtend
vor alles Sehbare
wird der unaushaltbare Atem gelegt.

© Ricarda Righetti